Hamburg ist das Tor zur Welt, doch Bremen besitzt den Schlüssel dazu. Einige Schlüsselerlebnisse mit Bier ereigneten sich in vier Tagen vor Ort, und dies auf die eher norddeutsche Art. Nahezu 60 Biersommeliers aus ganz Europa folgten der Einladung zum Frühjahrstreffen vom 25.-28. April in die freie Hansestadt Bremen um, wie es in der Einladung zu lesen war, ein „…buntes Programm zusammengestellt mit viel Biergenuss, Kultur, bierigen Einblicken und Raum für bierigen Austausch…“ zu erleben. Dies gelang vortrefflich und so geht ein ganz großes und ganz bieriges Dankeschön aller Teilnehmer an das Organisationsteam mit Vera Becker, Thomas Petersen und Mirko Christmann.
Klaus Artmann, Vizepräsident des Verbandes der Diplom Biersommeliers, dankt Mirko Christmann, Vera Becker und Thomas Petersen für die gelungene Organisation
Letztere begrüßten die Teilnehmer am Donnerstag den 25. April zum „bierigen Warm-Up“ in der Gasthausbrauerei Schüttinger in der Böttcherstraße, Bremens heimlicher Hauptstraße. 1990 erweckte diese Brauerei die alte Bremer Tradition der Hausbrauereien wieder zum Leben. Sie ist damit die älteste Gasthausbrauerei in der Hansestadt Bremen und eine von aktuell vier ortsansässigen Brauereien. Das obergärige, naturbelassene, hefetrübe und unfiltrierte „Schüttinger Blonde“ fließt immer aus dem Zapfhahn, dazu gibt es je nach Saison noch ein passendes Spezialbier, aktuell in Form eines hellen Maibocks. Brauer Charlie Petr gesellte sich zu den Biersommelièren und Biersommeliers und gab zahlreiche Anekdoten zum Besten.
Gasthausbrauerei Schüttinger im Herzen der Bremer Innenstadt
Freitag der 26. April begann politisch-kulturell mit einer Besichtigung der Bremischen Bürgerschaft mit anschließendem Empfang sowie Gespräch mit dem ehemaligen Bürgerschaftspräsidenten und heutigen Fraktionsvorsitzenden der Bremer CDU, Frank Imhoff, seines Zeichens Landwirt und MdBB. Die Teilnehmer waren sich einig: Hier steht ein wahrer Demokrat. Seine Ausführungen und Gedanken zu Demokratie und Politik im Allgemeinen und in Bremen im Besonderen waren spannend und beeindruckend.
Ein weiterer Empfang im Unesco-Welterbe Rathaus mit Rundgang vervollständigte den Einblick ins politische Bremen. Dafür sorgte der Bankettleiter des Hauses, Heico Geffken, und ermöglichte einzigartige Einblicke in Räume, Bewirtungsgepflogenheiten und Anekdoten der Vergangenheit und Gegenwart.
Das Rathaus und der Roland auf dem Marktplatz in Bremen hielten gemeinsam im Juli 2004 Einzug in die Welterbeliste. Die Unesco würdigt damit dieses Ensemble als ein "einzigartiges Zeugnis" für die Entwicklung von bürgerlicher Autonomie und Marktrechten, wie diese sich im Laufe von Jahrhunderten in Europa herausformten. Der Bau des Bremer Rathauses erfolgte in den Jahren 1405 bis 1409. Es ist das einzige, nie zerstörte und vollständig in seinem Originalzustand erhaltene, europäische Rathaus des Spätmittelalters. Kontinuierlich sorgten die Bremer seither für seine Instandhaltung und Wartung - eine Voraussetzung dafür, als Welterbe anerkannt zu werden. Das Unesco-Komitee würdigt mit seiner Entscheidung darüber hinaus auch die Authentizität des Gebäudes. Es ist nachgewiesen, dass das Bremer Rathaus vom ersten gotischen Bau - einem so genannten Saalgeschossbau - Anfang des 15. Jahrhunderts über die umfangreiche Restaurierung zwei Jahrhunderte später bis hin zum Anbau des neuen Rathauses zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Authentizität bewahrt hat.
Nach so viel geistigem Genuß hatten sich die Biersommeliers einen „kleinen Snack und Bierchen zwischendurch“ redlich verdient. Dazu suchten viele die „Markthalle Acht“ auf, einen kulinarischen Treffpunkt im Zentrum der Hansestadt, der im wörtlichen Sinne für jeden Geschmack etwas zu bieten hat.
Kulinarischer Treffpunkt im Zentrum Bremens – die Markthalle Acht
Als „bieriger Gegensatz“ zur der gemütlichen kleinen Gasthausbrauerei am Vorabend stand am Nachmittag mit der Besichtigung der Brauerei BECK & Co. eine industrielle Braustätte des Welt größten Braukonzerns AB-InBev auf dem Programm. Größer können Gegensätze sprichwörtlich nicht sein. Gemeinsam haben beide dennoch leckeres Bier. Brewing Manager Andreas Grond führte durch die Brauerei und kredenzte ein unfiltriertes Sonderbier, frisch gebraut von den Auszubildenden des Brauer- und Mälzer-Handwerks.
Wer die Brauerei kannte oder keine Sicherheitsschuhe im Gepäck oder sich einfach zu spät angemeldet hatte, der konnte einen exklusiven Besuch im Weserstadion Bremen, Heimat des mehrfachen Deutschen Fussballmeisters und Europapokalsiegers SV Werder Bremen, genießen. Anne-Kathrin Laufmann, Geschäftsführerin Sport und Nachhaltigkeit, ließ es sich nicht nehmen, die Gäste persönlich zu begrüßen. Seinen Namen erhielt der Verein von der benachbarten Flussinsel. „Werder“ lautet allerdings nicht der Name dieser Insel, sondern generell eine topographische Bezeichnung für Flussinseln.
Brauerei Beck & Co. (links) und das Weserstadion (rechts)
Zum Abendessen trafen sich dann alle nach ihren Exkursionen in die Weltwirtschaft und den Profisport in der eher lokalen, handwerklich arbeitenden Bremer Braumanufaktur wieder. Als Startup 2014 von Markus Freybler gegründet, braute die Manufaktur ihre Biere als "gipsy brewer" in befreundeten kleinen Brauereien. Im Oktober 2019 eröffnete die eigene Brauerei auf dem ehemaligen Kellogg Gelände in der Überseestadt in Bremen als Teil des Stadtentwicklungsprojekts „Überseeinsel“.
Der Autor in der Bremer Braumanufaktur, auch „Hopfenfänger“ genannt
Bereits im Gründungsjahr 2014 begann die Brauerei mit dem Anbau von Bremer Hopfen. Aus anfangs 15 Pflanzen damals entstand heute ein stattlicher Hopfengarten mit 1.500 Pflanzen. Sie liefern den Hopfen für das „Nordisch Hell“ und das „Übersee Ale“. Hinzu kommen Kräusen, Rotbier, New England IPA und der „Bremer Stadtmusikanten Bock“.
Wie der vorangegangene Tag begann auch Samstag der 27. April kulturell, diesmal jedoch nicht politisch sondern historisch mit einem Besuch des Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven.
Deutsches Auswandererhaus in Bremerhaven
Die Geschichte des Deutschen Auswandererhauses beginnt 175 Jahre vor seiner Eröffnung: Ab 1830 entwickelte sich Bremerhaven zum größten Auswandererhafen Kontinentaleuropas: Über 7,2 Millionen Menschen betraten hier ein Schiff, um an einem anderen Ende der Welt ein neues Leben zu beginnen. Grund genug, diesem wichtigen Kapitel der Menschheitsgeschichte ein eigenes Museum zu widmen – dachten sich engagierte Bremer und gründeten 1985 den Förderverein Deutsches Auswanderermuseum (heute: Freundeskreis Deutsches Auswandererhaus e.V.). Ab 1998 unterstützte der „Initiativkreis Erlebniswelt Auswanderung“ (heute: Initiativkreis Deutsches Auswandererhaus) das Museumsvorhaben. Am 8. August 2005 wurde das Deutsche Auswandererhaus feierlich eröffnet.
Das mutige, innovative Museumskonzept versteht Menschen und ihre Erfahrungen nicht als Teil, sondern als Mittelpunkt der Geschichte und ihrer Vermittlung. Das Hamburger Architekturbüro Andreas Heller Architects & Designers erdachte dabei sowohl die innere wie äußere Gestalt des Museums. 2007 erhielt das Deutsche Auswandererhaus dafür den „European Museum of the Year Award“ des Europäischen Museumsforums EMF.
Am 21. April 2012 eröffnete der erste Anbau und mit ihm eine erweiterte Dauerausstellung, die jetzt auch 300 Jahre Einwanderungsgeschichte nach Deutschland erzählte. Mit der Eröffnung eines weiteren von Bund, Land und Stadt geförderten Neubaus am 26. Juni 2021 konnte dieses wichtige gesellschaftliche Thema in einem noch größeren und umfassenderen Rahmen und mit einem Schwerpunkt auf das Zusammenleben im Einwanderungsland bearbeitet werden.
Die wissenschaftliche Erforschung und Vermittlung historischer und aktueller Aspekte von Migration finden in der ebenfalls 2021 gegründeten „Academy of Comparative Migration Studies“ (ACOMIS) ihren Platz.
Bis heute besteht das Deutsche Auswandererhaus als Public Private Partnership-Project: Das Land Bremen und die Stadt Bremerhaven errichteten den Bau des Haupthauses 2005. Der Bund, das Land Bremen mit Unterstützung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und die Betreibergesellschaft finanzierten den ersten Erweiterungsbau 2012. Die Stadt Bremerhaven stiftete das Grundstück. Die zweite Erweiterung 2021 erfolgte dank der erneuten Unterstützung des Bundes und des Landes Bremen sowie der Stadt Bremerhaven. Betrieben wird das Deutsche Auswandererhaus seit 2017 durch die Deutsches Auswandererhaus gemeinnützige GmbH.
Zu Gast bei der Freien Brau Union Bremen
Den Abschluss dieses gelungenen Tages bildete ein „bierig bremischer Abend“ in der Freien Brau UNION Bremen mit Führung durch den Gesellschafter Markus Zeller sowie Carsten Eger, Biersommelier und Brauingenieur. Die Geschichte der 1907 von Bremer Wirten gegründeten Union Brauerei Bremen endete als Brauerei zunächst im Jahr 1968. Damals wurden viele lokale Brauereien von großen Braukonzernen aufgekauft und geschlossen. Schade, denn das Bremer Union Bier hatte laut Zeitzeugen einen guten Ruf. 2015 schlug die heutige „Freie Brau Union Bremen“ dieses traditionsreiche Kapitel Bremer Biergeschichte neu auf. Sie erbaute ihr Sudhaus an exakt der Stelle, an der das Sudhaus der früheren Union Brauerei gestanden hatte. Mit dem neuen Brauereinamen knüpft sie einerseits an die Tradition der Union Brauerei an und braut im wunderschönen historischen Gebäude der Union Brauerei. Gleichzeitig dokumentiert sie als „Freie Brauerei“ die Bindung an die „Freie Hansestadt Bremen“. Frei im Sinne von unabhängig ist darüber hinaus ein Kennzeichen für eine Inhaber geführte Craft Bier Brauerei im Sinne einer selbstständigen freien Handwerksbrauerei, die nicht zu einem Getränkeindustriekonzern gehört.
Dem entsprechend serviert die Brauerei ein vielfältiges Sortiment aus Keller Pils, Helles, Kräusen, Weißbier, Rotbier, Pale Ale, Hanseat 2.0 (ein exquisites Duett aus Malz und Hopfen), Bio-Stadtbier und Swabbie IPA. Hinzu kommen saisonale Biere wie Milkshake IPA, Immer Bock und Pumpkin Ale.
Der abschließende Sonntag der 28. April begann mit einem Stadtbummel unter kundiger Anleitung eines bayrischen Bremen-Insiders. Zum Ausklang gab es ein Mittagessen an Bord der Alexander vom Humboldt.
Die heutige Bark „Alexander von Humboldt“ lief 1906 auf der Bremer Werft AG „Weser“ zunächst als Feuerschiff unter dem Namen „Reserve. Sonderburg“ vom Stapel. Auf Initiative von Kapitän Manfred Hövener und mit Hilfe vieler Freiwilliger wandelte sich das ursprünglich Feuerschiff von 1986 – 1988 zum Sail Training Schiff „Alexander von Humboldt“. Der Rumpf erhielt erstmals seine typische grüne Farbe, die traditionelle Farbe der berühmten Bremerhavener Rickmers-Segler, die heute, zusammen mit den grünen Segeln, als Markenzeichen der Bark gelten.
Seit ihrer Taufe als „Alexander von Humboldt“ hat das Schiff über 500 000 Seemeilen zurückgelegt, ist 12 mal über den Atlantik gesegelt, hat zweimal das berühmt-berüchtigte Kap Hoorn umrundet und unzähligen jungen Leuten die Möglichkeit gegeben, traditionelle Seemannschaft zu erlernen, fremde Länder und Häfen, und dabei die unterschiedlichsten Menschen kennenzulernen.
Seit 2015 geht die alte „Alex“ nicht mehr auf See, sondern dient vor Anker als komfortables Hotel- und Gastronomieschiff, das trotz der modernen Ausstattung nichts von seinem herkömmlichen Charme verloren hat. Und dass nicht nur dieses stolze Schiff, sondern die gesamte Stadt Bremen ihren ganz eigenen Charme hat, das durften nun die Biersommelièren und Biersommeliers erleben. Danke Bremen!
DAS Wahrzeichen Bremens schlechthin – die Stadtmusikanten
Das Schlusswort zu diesem gelungenen Frühjahrstreffen gebührt dem stellvertretenden Präsidenten des Verbands der Diplom Biersommeliers, Klaus Artmann: „Der persönliche internationale Austausch aus den unterschiedlichen Perspektiven der Brauerei, der Gastronomie, des Getränkehandels, der Hobbybrauer und der selbstständigen Biersommelièren und Biersommeliers macht nicht nur unglaublich viel Spaß, sondern ist lehrreich und inspiriert für die eigenen Herausforderungen. Die Bierkultur in Bremen hat viel zu bieten und zeigt wie große und kleine Brauereien gemeinsam die Biervielfalt bereichern. Die Impulse über den Bier-Tellerrand hinaus zu Mitgestalten in der Demokratie, Nachhaltigkeit und Verantwortung im Sport sowie die beeindruckende Stadtgeschichte rundeten das Frühjahrestreffen perfekt ab.“
Bildquelle: Dr. Markus Fohr
Autor
Dr.-Ing. Markus Fohr
Biersommelier
Geschäftsführer der Lahnsteiner Brauerei