Kann man bei der dritten Wiederholung einer Veranstaltung von einer Tradition sprechen? Wir glauben schon! Nach der preisgekrönten Berliner Weißen im Jahr 2022 und dem traumhaften Porter in 2023 wagten sich die Mitglieder der DBS Sektion Deutschland Ost in diesem Jahr an den Bierstil Grape Ale. Das bescherte uns erneut ein schönes, erinnerungsschweres Wochenende in Berlin.
Der erste Sud
Um die erfahrungsgemäß sehr informationsreiche Veranstaltung im September vorab ein wenig ruhiger zu gestalten, braute diesmal eine kleine Vorhut unter Leitung unseres Head Brewers Basti Oberwalder schon Ende Juli einen ersten Versuchssud. Die Braugruppe mischte hier Traubenmost aus dem Vorjahr mit der Bierwürze. Später soll das endgültige Sektions - Grape Ale von frisch geernteten Trauben profitieren.
Dieses „Versuchsbier“ stand schließlich im Mittelpunkt unseres Septembertreffens. Aber der Reihe nach.
Aufwärmen im Brew Pub
Wir kamen bereits am Freitagabend im BrewPub Bräugier Ostkreuz zusammen, der mit einer interessanten, IPA – dominierten Karte eigener Biere sowie einer feinen Burgerauswahl aufwartete. Die berlintypische Lautstärke im Pub dämpfte nur minimal unsere Freude über das Wiedersehen und die Begrüßung neuer Mitglieder unserer Runde. Über einen Absacker im nahegelegenen Straßenbräu strebten wir dann unseren Hotels zu; der der Folgetag würde auch noch lang werden.
Von Weintrauben und Traubenwein
Am Samstag starteten wir dann mit drei Großraumtaxen vom Alexanderplatz aus in die Weinberge von Berlin. Weinberge in Berlin? Unsere Skepsis ließ sich kaum verbergen. Schließlich stiegen wir im Stadtteil Neukölln, genauer gesagt im Ortsteil Britz aus den Fahrzeugen.
Ein gepflegter Gartenzaun mit einladendem Tor erinnerte ein wenig an eine Schrebergartenkolonie. Der Schriftzug „Britzer Weinkultur“ auf einem Berliner Bären zeigte an, dass wir noch in Berlin – und am richtigen Ort sind. Durch ein Spalier reifer Trauben gelangten wir in eine Art Biergarten unter Trauben, in das „Grüne Klassenzimmer“. Hier begrüßten uns die Mitglieder des „Verein zur Förderung der Brietzer Weinkultur e.V.“ herzlich mit verheißungsvoll für eine Verkostung gedeckten Tischen.
Zunächst erfuhren wir von Elfriede Manteuffel, der Vereinsvorsitzenden, das Wichtigste über ihr ca. 0,5 ha großes Weinbaugebiet. Die Vereinsmitglieder, finanziert durch Eigenmittel, Sponsoren und die Agrarbörse Deutschland Ost e.V. bewirtschaften mit viel Eigenleistung und noch mehr Liebe das Gelände. Unter dem Motto „Lesung unter Reben“ oder „Swing unter Reben“ begrüßt der Verein über das Jahr zahlreiche Gäste zu abwechslungsreicher Kleinkunst. Auch heute laufen im Hintergrund bereits die Vorbereitungen für eine Abendveranstaltung.
Uns interessieren am meisten die Fakten zu den Rebsorten, deren Kategorisierung in Tafel- und Weintrauben, die Besonderheiten bei Veredlung und Rückschnitt der Stöcke – eben alles rund um den Weinanbau. Ein Rebstock gibt ungefähr einen Liter Wein, mit ca. 7 ha Weingarten kann man eine Winzerfamilie ernähren und die Gesamtzahl aller europäischen Weinstöcke ist durch EU- Richtlinien vorgegeben und begrenzt. Während die Hobbybrauer beim Ausfüllen ihres Steuerformulars 2076 immer neidvoll auf die steuerfreien Hobbywinzer schielen, scheint es bei den Profis dann mit dem Umfang der gesetzlichen Regelungen genau umgekehrt zu sein.
Berliner Schnauze?
Und nun kosten wir auch den ersten Wein: „Schnieke“ ist ein weißer, sehr fruchtiger Cuveé aus den hellen Rebsorten des Gartens. Deutlich steigt der Geruch nach Birne in die Nase, im Geschmack kommen reife Stachelbeeren hinzu, die sehr gut mit der ausgewogenen Säure harmonieren.
Der „JottWeDe“, ein Müller Thurgau überrascht und polarisiert ein wenig mit seinen pfeffrig- würzigen Noten – die angeregte Diskussion darüber wird durch das Mittagessen unterbrochen.
Dieses runden wir mit einem Rotwein, dem „Knorke“ ab. Die Rebe Acolon ist eine Züchtung aus dem Dornfelder. Im 2022er sind es die dunklen, roten Früchte wie Brombeeren und Pflaumen, die wiederum überraschend fruchtig eine durchaus rotweintypische Adstringenz kompensieren.
Äußerst interessant ist dann der Vergleich mit dem „Knorke“ Jahrgang 2020, ein Dornfelder, der in Richtung roter Beeren geht und ein wunderbar ausgewogenes Aromaprofil mitbringt. Natürlich entfacht das die angeregte Diskussion um Lagerung und Reifezeiten.
Im Weingarten
Ein Rundgang über den Weinlehrpfad bietet einen schönen Überblick über verschiedenste Rebsorten auf kleinem Raum. Nun stößt auch der Winzer Felix zu uns und findet sofort Basti unseren Brauer. Die beiden vertiefen sich ins Fachsimpeln und planen die beste Methode zur Verarbeitung der Trauben für unser Sektionsbier, die in der kommenden Woche reif sein werden. Das Spektrum reicht vom Dampfentsafter bis zum Mazerieren im Jungbier. Sie einigen sich auf das sofortige Pressen der Trauben in der Weinpresse des Gutes und Verwendung des frischen Mostes. Basti selbst wird bei der Ernte mithelfen und höchstpersönlich auch mit mosten. Wir freuen uns schon riesig auf das Ergebnis.
Schließlich dürfen wir noch einen Blick ins Allerheiligste, den Gär- und Lagerkeller werfen. Felix zeigt uns den Füller - „Wir füllen im Gegensatz zu Euch ohne Gegendruck!“. Die Hobbybrauer erkennen Gärtanks von Polsinelli, dem Raumausstatter vieler Hausbrauereien, wieder.
Wir verabschieden uns vom Verein in Brietz und bedanken uns ganz herzlich für die nette Gastfreundschaft und die interessanten Stunden! Unser Blick auf die Metropole Berlin hat sich durch den Besuch durchaus ein wenig gewandelt. Torsten Spörl hat uns einen unvergesslichen Ausflug organisiert, herzlichen Dank!
Der offizielle Teil
Eine sehr lebensbedrohliche Taxifahrt (übereinstimmende, unabhängige Aussage aus allen drei Fahrzeugen) bringt uns zurück ins Stadtzentrum. Im Biergarten vor dem Tor des Lembke – Fasskellers beginnt, beschattet von schwer tragenden Hopfenreben, der Nachmittag mit einem erfrischenden Bier der Brauerei.
Mit Freude beglückwünschen wir Melanie Leutenegger, die erst im April ihre Ausbildung zum DBS absolvierte, zu ihrem hervorragenden 3. Platz bei der Deutschen Meisterschaft. Sozusagen aus dem Stand katapultierte sie sich unter die besten Sommeliers Deutschlands mit der Fahrkarte zur Weltmeisterschaft inclusive. Herzlichen Glückwunsch nochmals an dieser Stelle.
Wiederum Melanie entführt uns gemeinsam mit Aline Kluge- Telian und Tino Fäustel in die Geschichte des Grape Ales. Melanie spannt einen wunderbaren, spirituellen Bogen vom heiligen Abendmahl bis in die aktuelle Popkultur – Storytelling vom Feinsten. Aline taucht mit uns durch die Jahrtausende vom fruchtbaren Halbmond über Fernost bis nach Amerika in die Dogfish Head Brauerei. Ein paar Brauereien, die in den letzten 20-30 Jahren das Grape Ale nach und nach wieder bekannt gemacht haben, hat Tino recherchiert. Das Ergebnis dieses Geschichtsausfluges wird demnächst auch im Mitgliederbereich unserer Webseite für alle Interessenten zugänglich sein.
Grape Ale soweit das Auge reicht
Nun kommt der Höhepunkt: die Verkostung des ersten Grape Ales der Sektion Deutschland Ost. Mit schöner lachsroter Farbe, noch merklicher Trübung und selbstbewusster Schaumhaube glitzert es in den Gläsern. Die Nase verheißt bedingungslose Fruchtigkeit und im Geschmack harmonieren dezente Malznoten mit den trockenen Grüßen der Trauben. Schon ein Traum, dennoch gibt es noch ein paar neue Ideen von Sebastian und einige Hinweise der anderen Fachleute aus der Runde. Ohne ins Detail zu gehen: Seid gespannt auf den Hauptsud!
In jedem Fall hat das Bier schon einen Namen: „Berliner Traube“ steht auf dem Etikett, dass auch in diesem Jahr wieder Kai Albrecht entworfen und gestaltet hat. Ein im Großformat handgemaltes Etikett überreichen wir dem Brauer für sein Arbeitszimmer. Danke, Kai, für die tolle und kreative Arbeit!
Zur Einordnung unserer Kreation gibt es nun noch die „Kaitzer Traube“ von Hobbybrauer und Biersommelier Marcus Morawietz gefolgt von mehreren Grape Ales aus verschiedenen Ländern, die uns Sebastian sehr kreativ besorgt hat. Wir erhalten so einen äußerst spannenden Überblick über die Bandbreite dieses Bierstils. Vielen Dank für die Mühe beim Brauen, diese einmalige Verkostung und überhaupt die großzügige Gastfreundschaft bei Lembke Berlin!
Das Finale
Jetzt ist die Schatzkiste geöffnet und wir bewegen uns von Genuss zu Genuss durch liebevolle Hobbybrauerbiere, preisgekrönte Spezialitäten, fassgelagerte Raritäten und einmalige Vintage – Abfüllungen. Sie aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Glaubt uns, es war ein besonderer Abend nach einem rundherum gelungenen Treffen.
In diesen Tagen erfolgt die Weinlese und noch vor Weihnachten soll sich die finale „Berliner Traube“ auf den Weg zu ihren Verkostern machen. Wir werden davon ganz bestimmt berichten.
Bilder: Tino Fäustel
Autor
Tino Fäustel
Biersommelier
Sektionsleitung Deutschland Ost